Montag, 1. Januar 2018

Die 25 besten Alben 2017

"Und der Abend fasst blau mit kalten Armen aus/ 
Und taut uns die verdorrten, tagwunden Augen auf/ 

(Der Täubling)






















25
Kamikazes
Die Zone




Die beiden Brüder Mythos und Antagonist haben sich selbst den roten Teppich ausgerollt und mit dem ersten Teil ihrer Projektreihe Zukunft 2 eine gänzlich instrumentale Werkschau releast. Merklich von elektronischen Spielarten und der Rumflexerei mit verschiedenen Synthesizern beeinflusst, wurde hier eine Art Soundtrackmusik zum urbanen Sommernachtstraum erschaffen. Akkurates Samplechopping und Synthiesphären treffen auf plastische Percussion, unterlegt von trippigen Hip-Hop-Rhythmen oder ruckelnden Techno-/IDM-Beats. Die Bässe drücken und der Kopf kommt aus dem Nicken kaum noch raus. Nachdem der Opener in der Tat "Große Erwartungen" schürt, wartet "Bogen laufen" mit einem bösen, Dedekind-Cut-artigen Synth auf bis wir uns in "Keine Freunde" plötzlich in einer abgefuckten '80s Clublandschaft wiederfinden. "Was für Enemy" klingt nach einem richtig üblen Albtraum, aus dem uns das verspulte "Die Zone" jedoch behutsam wieder wachküsst. Das an Vibes zwischen Burial und Bonobo erinnernde Outro klingt dann irgendwie nach Sterben. Auf die gute Art.

Free Download: Kamikazes - Die Zone
 








24
Lana del Rey 
Lust For Life




 "You get ready, you get all dressed up/ To go nowhere in particular". Die spannendste Popkünstlerin der letzten Jahre hat ein für ihre Maßstäbe eher durchwachsenes Album vorgelegt. Highlights gibt es zwar zu genüge: Die unaufgeregte Vintage-Ballade "Love", der kalifornische Sommerabendtune "Summer Bummer" mit A$AP Rocky oder das schmachtende "13 Beaches". Unnötig sind jedoch die teils uninspirierten Filler und kitschigen Zeitkritik-Momente. Nach den ersten neun, durchweg starken Tracks gibt es einen merkwürdigen Spannungsabfall. Abgesehen von einer Handvoll Totalausfälle schafft es Lana allerdings, ein ums andere Mal tief zu berühren, wo viele Kollegen/-innen bestenfalls an der Oberfläche kratzen. Wie man es auch eigentlich durchweg von ihr gewohnt ist.

Video: Lana del Rey - Love





 


23
Jay-Z 
4:44




"I would say I'm the realest nigga rappin'/ But that ain't even a statement/ That's like sayin' I'm the tallest midget"
Aus jetziger Perspektive lässt sich konstatieren, dass der Jigga mit No I.D. genau den richtigen Mann zum Produzenten seines dreizehnten Studioalbums erkoren hat. Der Mann, der zuletzt federführend bei der Produktion von Vince Staples' letzten zwei EPs und dessen bisherigem Magnum Opus Summertime '06 war, hat 4:44 einen entspannten, überaus angenehmen Anzug verpasst. Leichter Lo-Fi Charme statt Bombast und durchaus prominente, teils schon das eine oder andere Mal verwurstete Samples ergeben auf den zweiten Blick ein geschickt arrangiertes Gewand. Mister Carter fährt den gewohnten Größenwahn runter und gibt sich introspektiv und durchaus selbstkritisch bezüglich eigener Defizite.
"I'll fuck up a good thing if you let me". Aber No I.D. lässt ihn nicht - und Jay sich selbst genauso wenig.

Video: Jay-Z - The Story of O.J. 








22
Mount Kimbie 
Love What Survives




Die Post-Dubstep-Wurzeln in immer weiterer Ferne, speist sich Love What Survives vermehrt aus Quellen wie Indie (nicht abwertend gemeint), Pop und R&B. Besonders stark ist die Platte immer dann, wenn sie aufs Wesentliche reduziert, etwas schlaftrunken, aber doch mit Morgenrot induziert festen Blick durch dämmrige Großstadthäuserschluchten trabt ("Four Years and One Day", "Delta") oder dann, wenn Mount Kimbie sich selbst etwas zurücknehmen und die Bühne für ihre toll aufgelegten Kollaborationspartner frei machen. Das ist zum einen James Blake, der gleich zwei Tracks seine Stimme leiht und diesen das gerade eingehauchte Herz bricht. Und neben Micachu und Andrea Balency ist das zum anderen King Krule, der wirklich herrlich rumbrüllt und aus "Blue Train Lines" einen formidablen Gassenhauer macht. 

Video: Mount Kimbie - Blue Train Lines (feat. King Krule) 








21
Actress 
AZD




Actress kann, will und braucht sich nicht entscheiden, ob er mit AZD ins avantgardistische Wohnzimmer oder in den Club möchte. Der Ghettoville Nachfolger schafft diesen Spagat völlig spielerisch. So kongruent, musikalisch und abwechslungsreich geraten die wenigsten Technoalben. Die Kicks sind eher dezent und hintergründig gemischt. "Falling Rizlas" und "Faure In Chrome" sind Exkurse in (noisige) ambiente Gefilde, "Visa" ist der Musik gewordene Flipperautomat. Das tolle "Dancing In The Smoke" ist dirty, rhythmisch vertrackt und ein weiteres Highlight neben den standesgemäßen Hits ("Untitled 7" und "Blue Window"). Beeindruckend bleibt, wie spielerisch und locker Actress seine Register zu wechseln vermag.

Video: Actress - X22RME 








20
Dedekind Cut 
The Expanding Domain (ded005) 




Der amerikanische Produzent Fred Warmsley war ehemals unter dem Pseudonym Lee Bannon und für seine Produktionen für das Pro Era Kollektiv um Joey Bada$$ bekannt. Seine folgende künstlerische Weiterentwicklung bedeutete 2013 nicht nur die Namensänderung in Dedekind Cut, sondern auch das konsequente Streben gen ferner, klanglich spannenderer Horizonte. Noch immer stark beeinflusst von Ambient und Noise ist seine neueste EP ein gutes Stück rhythmischer und zwingender geraten als die bisherigen Releases. Man höre nur den absolut herausragenden "Lil Puffy Coat" (besser nicht auf Küchenradio-Boxen).

Audio: Dedekind Cut - Lil Puffy Coat 








19
Shabazz Palaces 
Quazarz: Born on a Gangster Star




Soundmäßig bewegten sich Shabazz Palaces mit ihrem dunklen Synth-Jazz-Rap schon immer in außerweltlichen Gefilden.
Im Juli brachte das Genre-pushende Duo, inklusive dem Zwilling
Quazarz vs. The Jealous Machines, gleich zwei Alben auf einen Schlag raus. Über die Spielzeit beider Werke erlebt MC Ishmael Butler die Erde aus Sicht des extraterrestrischen Wesens Quazarz, und zwar primär als einen feindlichen, fremden Planeten. Musikalisch bleiben Shabazz Palaces erfrischend eigen, die Lyrics opak und offen für Eigeninterpretationen. Düstere, spacige Psychedelik und sterile Kargheit werden konterkariert von gurgelnden Bassläufen (mit Unterstützung des famosen Thundercats) und angenehm ungezwungener Funkyness.

Video: Shabazz Palaces - Shine a Light (feat. Thaddillac)








18
Nick Hakim 
Green Twins
 




Fluffy as fuck. Psychedelic-Gitarren, eierndes Pianogeklimper und ein unaufgeregter, locker leichter Funk unterlegen den mal gehauchten, mal schmachtenden, Tame Impala mäßig effektbeladenen Gesang. Dessen Blaupause ist hörbar von Soulhelden wie Marvin Gaye oder Curtis Mayfield beeinflusst. Green Twins ist wie ein eklektisches, opulent ausformuliertes Mac Demarco Album. Während der Titeltrack ein Gefühl von zärtlicher Geborgenheit heraufbeschwört, ist "Roller Skates" einer der verkifftesten Tracks des Jahres (mit passendem Video). "Those Days" weckt gar leise Erinnerung an den Portishead-Klassiker "Glory Box".

Video: Nick Hakim - Cuffed 









17
Kedr Livanskiy 
Ariadna




Inspiriert durch die seltsame Außerweltlichkeit der frostigen russischen Winter synthetisiert die Produzentin/Vokalistin  Kedr Livanskiy nuancierten Techno-Pop. Neben ihrem ätherischen Gesang kristallisiert sich der Gebrauch analoger Synthesizer als wichtiges Charakteristikum ihrer Musik heraus. Die ausschweifenden Flächen erinnern mitunter an Boards of Canada, die straighten, von verschiedenen perkussiven Elementen und markanten Hats protegierten Beats dagegen nicht mehr. Getragenere Nummern wie "Ariadna" stehen nach vorne gehendem Techno wie auf "ACDC" oder "Za Oknom Vesna" gegenüber. Zu einer intimeren Bekanntmachung geht's hier

Video: Kedr Livanskiy - Ariadna 









16
Fever Ray 
Plunge




Aufgrund des hässlichen Covers von mir lange ignoriert, entpuppte sich Plunge letztlich doch noch als Quell übersprudelnder Freude. In "This Country" gibt sich die Schwedin verletzlich, fleht die Leere an: "It's not hard to love me". Mag ja sein, aber als wirklich einfacher Charakter erscheint sie eben auch nicht, nur ein paar Sekunden später verwandelt sich die Verletzlichkeit in explosive Wut. "This country makes it hard to fuck" stellt die Interpretin passend fest. Trotz teils zerrüttender Videos und Lines wie "Your lips, warm and fuzzy/ I want to run my fingers up your pussy" wäre es falsch, Plunge kalkulierten Tabubruch zu unterstellen oder zumindest es darauf zu reduzieren. Die Songs um den exponierten Banger "IDK About You" überzeugen mit dystopischen, beklemmenden Soundbildern. Bei entsprechender Lautstärke äußerst empfehlenswert sind da beispielsweise das höchst intensive "Falling", aber auch "This Country", "Wanna Sip" oder das leichte '80s-Vibes versprühende "To The Moon And Back".

Video: Fever Ray - IDK About You








 
15
Burial 
Rodent, Subtemple & Pre Dawn/Indoors



Dass Burial nicht im Alben-, sondern im EP-Format die wohl ideale Ausdrucksform für seine düsteren Klangexperimente gefunden hat, sollte ihn an dieser Stelle nicht um seine verdiente Anerkennung bringen. Während das im Frühjahr releaste Subtemple seine bis dato am stärksten im Ambient verwurzelte Arbeit darstellt, grüßt der Technotrack "Rodent" vom gegenüberliegenden Pol und setzt absolutes Club-Potential frei. Beides gelingt dem Südlondoner gewohnt stark. Das dritte Release im Bunde ist ein weiterer Schritt aus der Komfortzone und präsentiert zwei eher Dancefloor-orientierte Tunes mit für Burials Maßstäbe ungewöhnlich straighten Drums. Vor allem "Indoors" überrascht mit einem weird aufgekratzten Vocalsample.

Audio: Burial - Rodent 









14
Sevdaliza
ISON




Wer sich tiefer gehend mit dem geistigen Hintergrund von Sevdalizas Schaffen befassen möchte, der kann in ihren Songs das Bemühen finden, gesellschaftliche Zustände, Körperpolitik und verkrustete Genderrollen aufzubrechen, zu zersetzen, neu zu denken. Wer das nicht möchte, kann sich trotzdem problemlos in ihrer auf höchstem Level arrangierten, virtuosen Popmusik verlieren. Besonders großartig gerät diese immer dann, wenn sich Sevdaliza etwas weiter aus dem Fenster lehnt und experimentellere Gefilde ansteuert, wie bei dem von cleveren Brüchen durchzogenen "Human" oder den zahlreichen, zerhackstückelten Breakbeats ("Scarlette", "Libertine", "Hubris"). Das sanfte "Amandine Insensible" ist feinster, streichelnder Trip-Hop. Richtig gut.

Video: Sevdaliza - Human 









13
Syd 
Fin
 




Schwülstig warmer Gesang im ‘90s R&B Style auf kühlen Hiphop-Beats. Neo-Soul nennt man das heutzutage. Als besonders spannend entpuppen sich speziell die Nummern, auf denen Syd dieses Gegensatzspiel auf die Spitze treibt. „Body“ beispielsweise, die Liebe-mach-Hymne des Jahres, kommt auf einem unwahrscheinlichen Brecher von Beat daher. Eine minimalistisch pumpende Drum-Machine und eine böse anziehende Baseline untermalen den zärtlichen Gesang. Aber auch die kuscheligen, als Kontrastpunkt eingestreuten Produktionen, wie der Musik gewordene Schlafzimmerblick "Smile More" oder das unglaublich sanfte „Drown in It“ sind tolle Songs und erst sie machen aus Fin eine wirklich runde Kiste. 

Video: Syd - All About Me 









12
Vince Staples 
Big Fish Theory




 Was sind das nur für Killerbässe auf Tracks wie "745"oder "Yeah Right"? Die aggressiven Pitch-Sounds auf "SAMO", das sphärische "Crabs In A Bucket", die Percussion auf "Party People" - Der Nachfolger von Vince' Klassiker Summertime '06 ist fraglos noch ausgetüftelter, noch elektronischer, noch geschlossener und stimmiger produziert. Die große Stärke von Big Fish Theory ist zugleich auch der einzige Knackpunkt: Man merkt, dass Vince über alles einmal öfter nachgedacht hat, die intuitive, hungrige Unmittelbarkeit von Summertime gerät ein wenig abhanden. Andererseits ist auf einer angenehmen Spielzeit von 37 Minuten praktisch jeder Track ein Hit, die ganz großen Messages dabei gar nicht von Nöten. Aus dem hörbaren Einfluss von Producern wie Zomby oder James Blake gewinnt Staples ein exquisites Destillat.

Video: Vince Staples - Big Fish 










11
illyr 
Scrolling Subconscious




 illyrs Debüt-EP klingt durch und durch nach London. Nach Entschleunigung, nach sehr dunkler, sehr langer Großstadtnacht, nach verlebten Endorphinen, nach Fabrikhalle, nach winzigen Menschen und großen, ausufernden Flächen. Mit brüchiger Stimme bewegt sich der Künstler auf der schmalen Linie zwischen Liebe und Ekel, zwischen Leidenschaft und Leid, Zartheit und Gewalt. Hier geht`s zur Rezension

Video: illyr - i. chokehold 






 


10
Káryyn 
Quanta 1, Quanta 11, Quanta 1:11




Drei EPs veröffentlichte die Amerikanerin mit syrisch-armenischen Wurzeln im vergangenen Jahr, wobei schon die Verwandtschaft der Projektnamen auf die inhaltliche und klangliche Zusammengehörigkeit verweist. Die Songs liefern radikal entschleunigten Experimental Pop á la FKA twigs/Holly Herndon, pendeln zwischen sakralen, halligen Flächen und behutsam treibenden Passagen.
Káryyns wichtigstes Werkzeug ist ihre klare, in Hall verpackte, verdrehte, gelayerte oder zerhackte Stimme. Eine weitere Annäherung an diese hochspannende Newcomerin gibt's hier.

Video: Káryyn - Aleppo 










9
Der Täubling 
Der Täubling




 Dass der Täubling als Lieferant für extrem unterhaltsame bis verstörende Youtube-Clips in Form zeitgemäßer, die allgemeine Aufmerksamkeitsspanne nicht überschreitender Drei-Minuten-Häppchen taugt, war bekannt. Dass er es auf Albumlänge schaffen würde, ein zeitloses Manifest des Hasses, der Liebe und der Einsamkeit zu produzieren, war nach den grandiosen Singles zwar zu hoffen, aber in seiner Konsequenz noch nicht abzusehen. Die arrivierten Hiphop-Medien zeigen sich erwartungsgemäß überfordert im Angesicht dieses Machwerks, das sich mit den üblichen Kategorien nur schwer fassen lässt. Der Täubling ist dadaistisch, radikal und leicht schizophren. In seinen besten Momenten ("Für Jean Baptiste", "September", "Antifriedenstaube-Aus") ist der Täubling nicht nur lustig und grotesk, sondern auch berührend - und lyrisch, wie musikalisch eh über viele Zweifel erhaben.

Video: Der Täubling - Für Jean Baptiste










8
Negroman 
Sequel




Mit einer unnatürlich anmutenden Lässigkeit schüttelt der Negroman acht traumwandlerische Gassenhauer aus dem Ärmel und steigt endgültig zum Bändiger des Vibes auf. Die großartigen Produktionen evozieren einen Schwebezustand zwischen Schlafzimmer- und Flimmerblick, in dem der Negroman quasi mit dem Soundteppich verschmilzt. Jeder Tempowechsel, jeder Flow findet seine Nische und passt wie Arsch auf Eimer. Streitfragen wie "Boombap oder Cloudrap", "digital oder analog" könnten hier nichtiger nicht sein. Und so gut du dich auch mit ihm identifizieren kannst, merke: Der Negroman ist "nicht euer Antiheld/ der gegen Bänker, Richter, Henker/ und sonstige Vertreter der Macht wettert, als wäre er dafür angestellt".

Video: Negroman - Block 








 
7
Laibach 
Also sprach Zarathustra 




Die schwer zu kategorisierende Industrial-/BDM-/Pop-Formation Laibach besteht mittlerweile seit sage und schreibe 37 Jahren. Es ist wirklich erstaunlich rstaunlich, wie völlig souverän die Slowenen dem Zahn der Zeit trotzen, wie viel Biss und Kreativität die Band noch in sich trägt. Nietzsches Hoffnung, mit seinem Werk Rezipienten zu finden, die eines „gleichen Pathos fähig und würdig sind“, werden Laibach mit ihrer Vertonung mehr als gerecht. Es ist ein monumentales, episches Werk mit unglaublich virtuos gestrickten Spannungsbögen und einem Sound- und Produktionslevel, das seinesgleichen sucht. Spätestens das minimalistisch eingesetzte Reibeisenorgan Milan Fras‘ als Sprachrohr für Nietzsches lakonische Aphorismen, jagt einem Schauer über Schauer den Rücken hinunter. Ambientflächen, ins Mark schneidende Synthies und neoklassische Elemente verschmelzen mit Industrial-, Rock- und Technoanleihen zu einem postmodernen Meisterwerk. 

Audio: Laibach - Das Glück 









6
Mount Eerie 
A Crow Looked At Me




"Look at me / Death is real"
Die Musik spielt auf Phil Elverums achten Studioalbum paradoxerweise nur eine Nebenrolle. Viel mehr stellt A Crow Looked At Me als eine Art fragmentarisches Tagebuch eine Sammlung der ersten von Elverum verfassten Texte nach dem tragischen  Tod seiner jahrelangen Lebensgefährtin dar. Zwischen "You do belong here / I reject nature, I disagree" und einem Hauch von hoffnungsvoller Wärme fokussiert jeder Song dabei andere Facetten des immer gleichen, alles einnehmenden Gegenstands. Ohne hochtrabende Konzeptualisierung präsentiert sich Elverum als starker Geschichtenerzähler, reflektiert vor allem die kleinen Dinge, den erbarmungslos unnachgiebigen Alltag danach, die an jeder Ecke, jedem Gegenstand hängenden Erinnerungen und deren unaufhaltsamen schrittweisen Verfall. Wo Sufjan Stevens' Carrie & Lowell als Bruder im Geiste oft metaphorisch und verschachtelt ist, bedient sich A Crow Looked At Me einer überaus unprätentiösen, unmittelbar markerschütternden Direktheit: “Conceptual emptiness was cool to talk about, back before I knew my way around these hospitals.”

Audio: Mount Eerie - Seaweed 




 


 
5
Kendrick Lamar 
Damn.




Kendrick-Fan sein ist der kleinste gemeinsame Nenner aller Kritiker und wenn Comptons Finest ein Album releast erwarten die Massen nicht weniger als einen Klassiker. Perfektes Timing, grandiose Reime, makellose Technik: Kendrick ist zur Zeit zweifellos der Lionel Messi des Rapgames, der bei den an ihn gesteckten Erwartungen eigentlich nur enttäuschen kann. Dass K.Dot genau das aber nicht tut, liegt daran, dass er über dieses gewisse Etwas verfügt, das sich rational nicht greifen, nicht in irgendwelche Skalen zwängen lässt. Damn. ist kein Genregrenzen auslotendes Sozialkritik-Manifest wie sein Vorgänger und auch keine virtuose Hoodtale-Collage wie Good Kid. Damn. ist primär einfach ein unverkopftes straightes Rapalbum mit unglaublich viel Vibe, Soul, Energie und Liebe zum Detail.

Video: Kendrick Lamar - DNA. 
 





 
4
MIKE 
May God Bless Your Hustle




"I'm stuck inside my head"
Spröde wie Knäckebrot, mit dem Soul eines Curtis Harding und dem Hunger eines Löwen. Der bei Release gerade einmal 18 jährige New Yorker Rookie zersägt auf seinem ersten richtigen Album mit einer schier überbordenden Energie Beat um Beat. Der seine sperrige Seelenschau umschmeichelnde Klangteppich ist raw as fuck, edgy und größtenteils selbstproduziert. Dreckige, runtergepitchte und stark verlangsamte Samples, versponnene Psychedelica und schleppend scheppernde Knarzbeats rufen Earl Sweatshirt ins Gedächtnis. Und dann auch noch zum Free Download

Video: MIKE - Pigeonfeet










3
Coucou Chloe 
Erika Jane




Man quäle eine Katze. Man isoliere das entstehende Geräusch, packe eine ordentliche Portion Distortion, etwas Pitch und Delay drauf, darüber etwas teilnahmsloser Gesang und eine simple, aber hoch effektive Hook - fertig ist der Coucou Chloe Hit. Arca wäre sicherlich stolz. Doch im Gegensatz zu Arca, wo akustische Disparität und Konturlosigkeit als charakteristische Grundpfeiler herhalten oder FKA twigs, deren elektronische Experimente von schleppenden Downtempo-Rhythmen zusammengehalten werden, transformieren Coucou Chloe Songs zu kompromisslosen Techno-Brechern. Titel wie "GS" erinnern ob des Gesangs und der minimalistisch eingängigen Melodien auch an den verruchten Sound von 18+. Das von 8o8-Geballer und zuckenden Hats getragene "Stamina" ist ein Überhit, der tiefe Schneisen in die Synapsen brennt und mich dazu bringt, gleichzeitig jemanden umbringen, mir meine Augen mit einer Gabel oder einem ähnlich spitzen Gegenstand ausstechen zu wollen und meinen Körper wie einen Torpedo über die Tanzfläche zu jagen.

Video: Coucou Chloe - GS 











2
Arca 
Arca
 




Der vielleicht spannendste, radikalste Klangtüftler dieser Dekade bewegt sich mit seinem dritten Soloalbum weg von dem schier reizüberflutenden Soundgeballer der beiden Vorgänger. Arcas Songstrukturen klingen aufgeräumter und sind vielleicht erstmals überhaupt als solche zu bezeichnen.
Weiteres Novum: Arca ist kein reines Instrumentalalbum. Der Venezolaner singt, und das auch noch in einem Falsett, das einem das Herz zerschmettert. Es geht um Leid, um Schmerz, um Leidenschaft, Liebe und Zurückweisung. Erneut keine leichte Kost, aber mit Arca gelingt ihm zum wiederholten Mal ein unfassbar progressives, kraftvolles Stück Kunst, dem kein Vergleich standhält. 


Video: Arca - Anoche 








 


1
King Krule 
The Ooz




"Loverboy You Drown Too Quick"
Da Archy Marshalls Musik nach dem alles zerberstenden 2013er Debüt 6 Feet Beneath The Moon und dem 2015er Elektronik-Projekt A New Place 2 Drown nochmals an Komplexität und kompositioneller Feinjustierung hinzugewonnen hat, wird der Künstler nun vielerorts als eine Art Hipster-Ikone vereinnahmt. Es läge nah, mit musiktheoretischem Geschwurbel die technischen Finessen von The Ooz aufzudröseln. Dazu fehlt mir aber zum einen das Fachwissen und zum anderen die Lust. 
Das Wichtigste ist und bleibt, dass es Marshall wie kaum ein Anderer vermag, aus Emotionen und Erfahrungen große Songs zu machen, zu berühren, mitzureißen.
Wikipedia assoziiert The Ooz mit den Genrebegriffen Indie, Post-Punk, Punk Jazz und Trip-Hop und liegt damit gar nicht mal so verkehrt. Die Tracks erscheinen wärmer, verschwurbelter, freier und merklich jazziger als noch auf dem Vorgänger. Und ja, The Ooz ist sperrig und es braucht definitiv einige Hördurchgänge um sich diesem Bastard anzunähern. Als zusammenkittende Fixpunkte können da Hits wie "Czech One", "Slush Puppy" oder "The Locomotive" herhalten. Letzteres steht stellvertretend für den allgemeinen Vibe der Platte und trottet schwermütig, leicht holprig, wie eine ungelenke Lokomotive vor sich hin, jedem übertriebenen Pathos entbehrend. Es geht um Zweifel, ums rastlose Suchen, um Einsamkeit, Isolation und diese trotz aller Nähe unüberbrückbar im Raum stehende Distanz ("Can’t even look her in the eye/ Where tiny men have been absorbed/ For questioning the sky"). Aus diesem Bauch voll nicht ausschließlich positiver Gefühle erschafft Marshall mittels seiner klaren, lakonischen Poesie und seinem unheimlichen Gespür für Atmosphäre ein Kleinod purer Schönheit und Wärme. Ein "Parasite Paradise"

Video: King Krule - Czech One




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