Dienstag, 20. Juni 2017

Rezension: illyr - [SCROLLING SUBCONSCIOUS]

"Hold me in your chokehold/ I love it when I can´t breathe"


 











Viel Grau, viel Chrom, etwas Schwarz und Weiß.
Ein riesiges Panopticon, kafkaesk verschachtelte Gebäudekomplexe, Tunnel, leere Parkhäuser, ein U-Bahnhof: Schon die Bildgewalt ist beträchtlich. Erdrückend. 

illyrs Debüt-EP klingt durch und durch nach London. Nach Entschleunigung, nach sehr dunkler, sehr langer Großstadtnacht, nach verlebten Endorphinen, nach Fabrikhalle, nach winzigen Menschen und großen, ausufernden Flächen.
Unterwasser-Subbässe, klickende Hats, brüchige Songstrukturen - Assoziationen mit James Blake sind naheliegend. Dieser ist mit seinem herzzerschmetternden Falsetto sicherlich ein Bruder im Geiste. Denn im Gegensatz zu ganzen Heerscharen von Blake-Epigonen begeht illyr nicht das Vergehen, den kantigen, Post-Dubstep gespeisten Sound in Richtung biederer Poppig- und Gefühlslosigkeit weiterzustricken (à la SOHN, Jamie Woon etc.). Im Gegenteil: Viel radikaler wurden Beats wohl selten zerstückelt. 

Den endlosen zwischen ätherischen Andy Stott-Synthies, stolpernden Drums und allerhand abstrusen Field Recordings entstehenden Raum füllt illyr vor allem mit viel Leere und zeigt dabei, dass er das kontrastierende Spiel mit Raum und Struktur perfekt beherrscht.
Konzeptionell ist das Debüt des Londoners unter anderem von dessen Arbeit in einem Sex Club inspiriert. In seinen Aufgabenbereich fällt dabei das Observieren der Überwachungsmonitore um Drogenmissbrauch und ähnliche Delikte aufzudecken. Man hört gar das Stöhnen, das Atmen und andere Geräusche miteinander schlafender Menschen, die virtuos in das beeindruckend dichte Soundbild der EP eingeflochten sind. Diese sei ein Triptychon "of moving image/sound pieces that explore the juncture between love, lust and sexuality in the face of surveillance within a digital age".
Dass illyr nicht nur eine musikalische Vision verfolgt, sondern seine Erfüllung in erster Linie als passionierter Tänzer und Choreograph sucht, wird in den beiden mit Hilfe von Video-Artist REMEMBER YOU WERE MADE TO BE USED entstandenen Clips schnell klar.
Der Tanz, die Bewegungen, die Blicke erzeugen eine ungeheure Spannung und bewegen sich stets auf der schmalen Linie zwischen Liebe und Ekel, zwischen Leidenschaft und Leid, Zärtlichkeit und Gewalt. Der Tanz sieht immer auch wie ein Liebesspiel, wie ein Kampf aus, der große Einfluss Pina Bauschs ist hier unverkennbar.
illyrs größte Stärke ist das Zeigen von Schwäche. 
Liebe, Leidenschaft und Schmerz sind sowohl in den Videos als auch in seiner Musik so greifbar, so intensiv zu spüren, dass es einem das Herz zuschnürt.

Wertung: 9/10 




Tracklist:
01 prelude
02  i. chokehold
03 ii. feed
04 iii. too many times

Veröffentlichung: 05.05.17