Donnerstag, 22. Dezember 2016

Rezension: Prezident - Neueste Erkenntnisse vom absteigenden Ast

"There is enough treachery, hatred, violence, absurdity in the average human being to supply any given army on any given day"















Was auch Bukowski schon wusste und der zitierte Schnipsel aus "The Genius Of The Crowd" auf den Punkt bringt, ist ein zentrales Credo des zweiten offiziellen Prezident-Albums aus dem Jahr 2010.  
Neueste Erkenntnisse steht nach wie vor zum freien Download zur Verfügung, erscheint nun mit schniekem Cover von Wasserausbeton erstmals auch in physischer Form.

Verkrustete Fassaden werden aufgekratzt und unter diesen lauern Abgründe, so weit das Auge reicht.
Prezident geht es gar nicht so sehr um Extreme, er wühlt unter der Oberfläche des Banalen und Alltäglichen, wobei er nicht weniger zutage fördet als den nackten, latent hinter den leeren Augen eines jeden Durchschnittsbürgers lauernden Wahnsinn. Hässlich ist das. Wegschauen mit Sicherheit die schönere, für Prezident jedoch keine Option.

Ob Prezident mit einer klar zu diagnostizierenden Krankheit zu kämpfen hat, wird nicht ganz klar, Symptome gibt es aber definitiv en masse: Ekel, Missgunst, Gewaltfantasien, Selbsthass, Antriebslosigkeit, Entfremdung und Abschottung, um nur die schönsten zu nennen.
Das lyrische Ich kämpft sich durch die Tristesse des Wuppertaler Dauerregens ("Als wollte Gott uns ersaufen"), gerät in die zermürbenden Mühlen von Bürokratie und Alltagspflichten ("Der talentierte Mister Prezident", "Weltfremd") und entwickelt schließlich krankhafte Angszustände und ein tiefes Misstrauen gegen alles und jeden ("Paranoia III").
Zu helfen ist ihm nicht. Wenn der Feind nicht mehr als eine vage Idee, eine gesichtslose, kafkaeske Maschinerie ist, kann man nicht mal mehr rebellieren.
Prezident bleiben letztlich nur noch verschiedene Spielarten sturen Eskapismus.
Eines der zahlreichen Highlights ist sicherlich  "Höllenritt", ein Track, auf dem Prezident an der Seite des legendären Gaggballs mit der Wollust eines räudigen Straßenköters rappt, innerlich zerrissen zwischen dreckigem Triebverhalten und der Sehnsucht nach seelischer Nähe.

"Im Augenblick und reflektiert von den Pfützen auf der Straße/
Hat das Neonlicht der Tanke fast ein bisschen was Sakrales
"

Eine ganz andere Richtung schlägt "Unwohl" ein, das einem wahrlich kalte Schauer den Rücken hinunterjagt.
Die Stimmen, die den Wuppertaler für Deutschlands begabtesten Storyteller halten, werden nach diesem knapp vierminütigen Lehrstück in Sachen Atmosphäre, Spannungsaufbau und Wortwahl nicht leiser werden.

Zwischen all diesen dicken Brocken nimmt der Wuppertaler sich zum Glück die Zeit, auch ohne großen konzeptuellen Überbau einfach ein bisschen abzuflexen und den Hörer mit Sentenzen zu Gott und der Welt zu beglücken:
"Antifaust/ denn jener Heinrich gibt die Ewigkeit samt Seligkeit hinfort und tauscht sie gegen eine Lebenszeit/ Und als Künstler tuste haargenau das Gegenteil: Du trittst dein Leben breit gegen 'nen kleinen Schnipsel Ewigkeit/ Konfetti isset, und nix wert, wenn man ma' ehrlich bleibt/ Du verfärbst dich weiß, als wärste Kalk, komm, gib her dat Mic!" ("Flaschenöffner").

Das 7-Minuten-Epos "Mise en Abyme" ist von Beat Manufaktur Potsdam produziert, der Rest der wunderbar siffigen Loops von Bojanglez, Dizztorted Views und Epic.
Und die Beteiligten wissen, was sie tun: Die beiden zuerst Genannten zeichnen sich für die verschrobenen Hits und Epic für die Bretter verantwortlich.
Die Samples sind vom feinsten und die Snares tun, was Snares tun sollten: Sie knallen, scheppern, punchen. Herrlich!

"Jetzt gehts ans zweifelhafte Eingemachte" lässt Prezident verlauten. Und tatsächlich: Der Drittletzte, "Gänsehaut", zieht nochmal schön an.
Es folgt ein wahrlich retardierendes Moment, passend "Retardierendes Moment" tituliert. Die Luft vibriert förmlich und mindestens die halbe Welt hält den Atem an, ehe sich die Anspannung in einem letzten Zucken entlädt. "Es heisst, dass sie heiss ist" ist der Name des Outros und der epischste Track von Prezident überhaupt, eine nihilistische Hymne, die einem die Eingeweide nochmal so richtig durchschüttelt.

Eins ist sicher: Mit dem ihm eigenen Feingefühl findet Prezident jede deiner Wunden. Doch anstatt ein Pflaster drauf zu kleben, bohrt er seinen Finger bis zum Anschlag in das rosa Fleisch hinein und drückt vielleicht noch 'ne Kippe darin aus. "Nichts Entertainment, unsere Tracks nimmt man zu sich", wie Featuregast  Antagonist bereits im Intro verlauten lässt. Ganz starker Tobak.

 

Wertung: 9,5/10


Tracklist:
01: Als wollte Gott uns ersaufen (mit Antagonist) (Bojanglez)
02: Flaschenöffner (Epic Infantry)
03: Weltfremd (Dizztorted Views / Cuts: Epic Infantry)
04: Paranoia III (mit Chaomonga und Mythos) (Dizztorted Views)
05: Höllenritt (mit Gaggball) (Epic Infantry)
06: Der talentierte Mister Prezident (Bojanglez)
07: Tattoo (mit Antagonist und Eks & Hop) (Epic Infantry)
08: Unwohl (Dizztorted Views)
09: Links von der Pforte der Hölle (Epic Infantry)
10: Mise en Abyme (Beat Manufaktur Potsdam)
11: Gänsehaut (Dizztorted Views)
12: Retardierendes Moment (Dizztorted Views)
13: Es heisst, dass sie heiss ist (Bojanglez)


Veröffentlichung: 19.12.17 auf Whiskeyrap; Vinyl exklusiv bei Vinyl Digital