Dienstag, 20. Dezember 2016

Jahresrückblick 2016: 11 herausragende Songs


11 ist eine schöne Zahl. Berücksichtigt sind ausschließlich Songs, die nicht auf einem Album veröffentlicht wurden oder auf einem solchen, das es nicht in die noch zu veröffentlichende Liste der besten 25 Alben des Jahres geschafft hat.

 



11. Deakin - Golden Chords
Viel Liebe übrig habe ich für den Ansatz, die nackte, bodenständige Schönheit zerbrechlicher Folksongs mit atmosphärischen, experimentelen Klängen aus Ambient, Electro oder Noise zu vermischen. Genau dafür steht Deakins Sleep Cycle.
Zugegeben, speziell verglichen mit den anderen Titeln der Platte, handelt es sich bei "Golden Chords" um einen recht konventionellen Folksong. Nichtsdestotrotz ist er großartig und schafft es die Spannung über sechseinhalb Minuten aufrechtzuerhalten.
Fingerpicking a la Sufjan Stevens trifft auf von (Selbst-) Zweifeln heimgesuchte Lyrics und eine Intonation, die schon wieder Sufjan ins Gedächtnis ruft.
Eines der Folk-Highlights des vergangenen Jahres, das verdeutlicht, dass Komplexität nicht das zentrale Kriterium für Qualität ist.



10. Degenhardt - Fett & Rosig
Degenhardt rappend auf dem Klo, Comicläden, exzentrische Tanzmoves, Menschenströme in Einkaufspassagen, glitterbesteckte Damen in Karaokebars, sonderbare Nachtclubs, Roboter, süße Miezekatzen und eine Menge Neon, Pink und Glitzer.
Das und noch eine ganze Menge mehr springt einem im Video zu "Fett & Rosig" aggressiv ins Gesicht.
Ansonsten handelt es sich bei der Single von Degenhardts erstem konventionell vertriebenem Album um eine für ihn typische Nummer.
Assoziationsketten zwischen Irrenhaus und Kinderzimmer, Ekel, Perversion und großer Liebe. Schonungslose Selbstreflektion koexistiert neben schierer Wut.
Auf sich selbst, auf die Welt, auf andere Menschen und auf Rapper und deren "Kunst-Lyrik-Hip-Hop Scheiß" (vielleicht meint er sowas).



9. Frank Ocean - Nikes
Frank Ocean gilt als Aushängeschild R&Bs im 21. Jahrhundert, als Innovator und "Retter".
Überall auf der Welt lauschen Fans seinem Falsett und bringen dem 29-jährigen größtmögliche Verehrung entgegen.
Was läge da näher, als sein Album mit bis zur Unkenntlichkeit manipulierter Stimme einzuläuten und auf diese Weise das eigene Markenzeichen zu kaschieren und zu leugnen?
Damit ist auch die Marschroute von Blonde vorgegeben: Erwartungen werden gebrochen, musikalische Konventionen ignoriert. Man kann sich nie sicher sein, dass ein Song nicht doch noch eine plötzliche Abzweigung nimmt.
Frank Ocean liefert keine seichte Hintergrundbeschallung, sondern anspruchsvollen RnB mit Mut zum Experiment. "Nikes" ist dafür das beste Zeugnis.



8. Schoolboy Q - THat Part
Würde die Laufzeit statt bei 72 Minuten bei circa der Hälfte liegen, wäre Blank Face deutlich angenehmer am Stück zu genießen und ein Platz in allen relevanten Jahresbestenlisten sicher.
Trotz einiger Filler ist Schoolboy Qs vierter Longplayer ein wunderbares Streetrapalbum mit einigen Hits. Man überzeuge sich am Beispiel von "THat Part".



7. Desiigner - Panda
Offiziell wurde "Panda" kurz vor dem Jahreswechsel releast, hat die HipHop-Klubs 2016 jedoch dominiert wie vielleicht kein anderer Track.
One Hit Wonder? Selbst wenn, "Panda" macht auch ein Jahr später noch enormen Spaß!



6. Haiyti & Kitschkrieg - Ein Messer
Nur ganz knapp ist Haiytis Toxic an der Auswahl der besten (Mini-) Alben 2016 vorbeigeschrammt. An "Ein Messer" liegt das nicht. Der steht exemplarisch für ihren herausragenden Stimmeinsatz, exorbitante Adlibs und markante Punchlines.
Auf einer mehr als stabilen Kitschkrieg-Produktion rappt Haiyti über Hilflosigkeit und Depressionen und der Flucht in drogeninduzierte Rauschzustände als einzigen Ausweg. 



5. Mick Jenkins - Drowning (feat. BadBadNotGood)
Abgesehen von der Frage, weshalb Mick Jenkins nicht noch viel mehr singt, bleibt "Drowning" rein gar nichts schuldig. Und auf BadBadNotGood und deren Jazz mit Irgendwas-Hybride ist sowieso Verlass.



4. Arca - Entrañas
Für Manche nur ein weirder, destruktiver und unhörbarer Krachmacher, für Andere der Heiland avantgardistisch entftemdeten Elektros: An Arca scheiden sich die Geister.
Die Wahrheit ist, dass Arca großartig ist, neue, radikale Wege geht und seine frickeligen Klangexperimente in der Tat "anders" sind. Herkömmliche Strukturen werden nicht einfach aufgebrochen, sie existieren gar nicht.
Wahr ist jedoch auch, dass die permanenten Brüche, die seine alienartigen, dissonanten Soundcollagen charakterisieren, auf Albumlänge mitunter anstrengen können.
Ob Entrañas nun ein Track, oder doch eine EP ist, sei mal dahingestellt.
Die lediglich 25-minütige Spielzeit kommt ihm jedenfalls zugute und macht es zur perfekten Einstiegsdroge!

 
3. 18+ - Blue
The Reimagining. So heißt das Projekt, unter dessen Banner sich Künstler einer Fimszene annehmen und dieser einen neuen Soundtrack zurechtschustern.
18+, primär bekannt für anzügliche Säuseleien auf melancholischen Downbeat-Untermalungen, haben sich mit vortrefflichem Geschmack eine Szene aus Krzysztof Kieslowskis Blue (1993) ausgeguckt.
Der gleichnamige Song ist einer der stärksten und emotional anrührendsten ihres gesamten Backkatalogs.
In Kombination mit Kieslowskis Bildern gerät "Blue" zu einem Juwel von bedrückender Schönheit.



2. Messer - Im Jahr der Obsessionen (All diese Gewalt-Remix)
Max Rieger alias All diese Gewalt hat dieses Jahr nicht nur ein großes Soloalbum an den Start gebracht. Er hat auch Messers eh schon starkem "Im Jahr der Obsessionen" einen noch stärkeren neuen Anzug verpasst. Das geht tief!



 1. Chromatics- Dear Tommy
Dass es um die kleinen Dinge geht, verdeutlicht nichts besser, als der düstere Minimalismus von Chromatics. Der Moment, in dem nach gut anderthalb Minuten die tickende Hi-Hat einsetzt, gehört zu den fünf besten meines doch eher durchschnittlichen Lebens.
Es hat nicht sofort Klick gemacht, doch diese Audio gewordenen vier Minuten größtmögliche Sehnsucht lassen einen nicht mehr los.
Die sterbenseinsame Autotunestimme, die verloren durch die karge Düsternis irrt, die extrem schleppenden Drums...Pure Atmosphäre! Musik für eisige Winternächte und ausreichender Anlass, sich das seit einer gefühlten Ewigkeit angekündigte Album nach Erscheinen gleich mehrfach zu kaufen - wenn es denn endlich erscheint!