Dienstag, 1. November 2016

Rezension: Weyes Blood - Front Row Seat To Earth

Im Heute wie im Gestern verortete Collagen der Einsamkeit















Nicht Jenny Hval, trotzdem geht es wieder um Blut. Um Natalie Mering, alias Weyes Blood, genauer gesagt.
Nach den Vorgängern von 2011 beziehungsweise 2014, ist "Front Row Seat to Earth" das nunmehr dritte Werk der 28 jährigen Kalifornierin.
Mering kann auf eine Vergangenheit als Bassistin bei Jackie-O Motherfucker, einer Experimental Rock-Gruppe aus Oregon, zurückblicken. Weyes Blood beheimatet jedoch eine andere Nische.
Man nehme den psychedelischen Hippie-Folk der späten 60er und vor allem 70er Jahre und stecke ihn kurzerhand ins 21. Jahrhundert. In eine Zeit, in die die Idee der freien Liebe als Tinder übersetzt wurde. In der man an sozialen Medien und Smartphones klebt, anstatt sich mit Akustikgitarre und Stockbrot ans Lagerfeuer zu setzen. In der aus politischer Aufbruchstimmung Desinteresse, Desillusionierung und Entpolitisierung geworden sind. Kurz: Eine Zeit, in der viele (Hippie-) Ideale nicht gut gealtert sind. Und genau dieses Gefühl schlägt sich in den neun Songs nieder. Unbedarftheit, Romantik und kindliche Hoffnung, aber auch die schiere Leere, die Fremdheit und tieftraurige Resignation, die als Erinnerung an geplatzte Träume zurückbleiben.Das liest sich jetzt natürlich sehr pathetisch, klingt es aber nur bedingt.

"Going to see end of days/ I’ve been hanging on my phone all day/ And the fear goes away” 

Der Gefühlsschwere ihrer Lieder zum Trotz, nimmt Mering sich selbst nicht zu ernst (Man sollte sich wirklich ihre süchtigmachenden Videos zu Gemüte führen). Sie ist mutig, scheut weder vor Selbstironie, noch vor Kitsch.
Das Gefühl, das den Rezipienten vereinnahmt, wird auf dem Cover durchaus passend illustriert.
Von einer schönen, mondartigen, aber auch verlassenen Landschaft umgeben zu sein, auf dem Boden zu liegen und einen Anzug aus türkisem Satin und weiße Sneaker zu tragen.
Klar, textlich sind Merings Songs die depressivsten und hoffnungslosesten Liebeslieder seit langem, doch der Vibe ist trotzdem ein warmer, angenehm verträumter. Dream Pop eben.
Die Instrumentierung ist hier reichhaltiger als bloßer 70s Folk. Subtile Dissonanzen, benommen eiernde Orgelsynths, entfernte Pianoklänge, eine liebliche Harfe und traurige Bläser existieren hier neben verschiedenen Effekten, die in erster Linie über Merings Stimme gelegt sind.
Selbsterklärend, dass radiotaugliche Hits vergebens gesucht werden.
"Front Row Seat To Earth" funktioniert vor allem als Ganzes, lullt den Hörer ein in eine verschwommene, surreale Traumwelt, in der das persönlich Intime und das allgemein Relevante und allgemein Gültige eins werden. Subjektive Gefühle von Einsamkeit, Zurückweisung und Schmerz den Herzschlag des gesamten Planeten zu dirigieren scheinen. Und der funky Satinanzug nie abgelegt wird.

Wertung: 8/10 

 

 


Tracklist:
1. Diary
2. Used to Be
3. Be Free
4. Do You Need My love
5. Generation Why
6. Can't Go Home
7. Seven Words
8. Away Above
9. Front Row Seat

Veröffentlichung: 21.10.17 via Mexican Summer