Mittwoch, 5. Oktober 2016

Aktuelle Veröffentlichungen (u.a. mit Nick Cave, Bon Iver, Vince Staples und Nicolas Jaar)


In den letzten Wochen werden dem geschmacksbewussten Musikliebhaber die Alben mit Jahresbestenlisten-Potenzial nur so um die Ohren gehauen. Voll Überschwang könnte man gar von einem historischen Frühherbst sprechen! Jetzt aber erstmal Butter bei die Fische und eine Übersicht in Listenform, damit nichts verloren geht.
An dieser Stelle sei letztmalig wärmstens auf die Funktionalität eines Youtube Unblockers hingewiesen.






Nick Cave & The Bad Seeds - Skeleton Tree

Das bereits am 9. September veröffentlichte "Skeleton Tree" konnte die obligatorisch turmhohen Erwartungen an ein neues Nick Cave Album, die durch die vorveröffentlichte Auskopplung "Jesus Alone" weiter angeheizt wurden, tatsächlich erfüllen. Es ist sein dunkelstes und auch eines seiner stärksten Alben geworden, was bei Caves Backkatalog natürlich etwas heißt!
"I Need You", das Herzstück des Albums, ist ein ohnmächtig verzweifelter, aber eben auch anrührend schöner Schrei der Hoffnungslosigkeit:




 

 

 

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Jenny Hval - Blood Bitch


Die experimentierfreudige Norwegerin mit dem bildhübschen Namen  präsentiert den Nachfolger zum Vorjahresalbum "Apocalypse, Girl".
Sie selbst definiert ihre virtuos arrangierte, elektronisch-sphärische Popmusik als "Soft Dick Rock".
Hvals feminisistisch motivierte Eigenarten, beispielhaft die Vorliebe fürs Malen mit Menstruationsblut, verdrängen die wundersame Schönheit ihrer Kompositionen bedauerlicherweise immer wieder aus dem Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Ihr düsteres Album sei "an investigation of blood that is shed naturally. The purest and most powerful, yet most trivial, and most terrifying blood". So viel zum künstlerischen Hintergrund.
Die beiden Videoauskopplungen kombinieren höchste musikalische Qualität mit einer ganz eigenen, abseitigen Ästhetik und natürlich der dazugehörigen Portion Blut. Meine uneingeschränkte Empfehlung!




 

 

 

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Nicolas Jaar - Sirens  

Jaars im Alter von 21 Jahren veröffentlichtes Debüt "Space Is Only Noise" brachte ihm vollkommen zurecht den Status eines kreativen Genies ein. Gemeinsam mit James Blake stand er im Erscheinungsjahr 2011 für die radikale Entschleunigung elektronischer Musik. Seine komplexen, vielschichtigen Tracks waren weniger für die Tanzfläche konstruiert , als für Nachtspaziergänge mit Kopfhörern, Rotweinabende im Wohnzimmer oder lange Autofahrten.
Wenn Jaar auf seinem Nachfolger die bekannte Formel nun einfach reproduziert hätte, hätten es ihm wohl nur die Wenigsten verübelt. Doch natürlich entspräche das nicht seinem eigenem Anspruch.
"Sirens" ist das Werk eines ambitionierten Künstlers, der konsequent den Weg der Weiterentwicklung beschreitet. Jaar flirtet mit Housemusik, hat längere Gesangsparts, mehr Sopran, komplexere und teilweise auch politische Lyrics. 
Mit Musikvideos hat er es nicht so, die schiere Genialität von "The Governor" sollte man sich trotzdem mal zu Gemüte führen.




 

 

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Ka - Honor Killed The Samurai


"Can´t be pussy in a dog fight. The law don't forgive what the lord might".
Der mittlerweile 44 jährige New Yorker bleibt seinem Markensound treu. Zeitlose Beats, die dem New Yorker Sound der Neunziger entwachsen sind, aber dennoch radikal und äußerst untypisch daherkommen.
Loops, die an Sturheit kaum zu überbieten sind, kaum Drums und darauf Kas Ehrfurcht gebietende Stimme, Lyrics und Delivery so on point, wie bei keinem zweiten.
Ka-Alben sind wie Filme: Voll und ganz einnehmend, plastisch, stimmungsvoll, ein Angebot auf eine alternative Realität; sein Vortrag, wie der eines Schachspielers: Stets überlegt und schon einige Schritte voraus denkend.
Zugegeben, leicht zugänglich ist "Honor Killed The Samurai" beileibe nicht, vielleicht noch weniger als seine Vorgänger. Doch wer nach dem Konsumieren des "Just"-Videos nicht zum Ka-Fanboy mutiert, dem ist nicht mehr zu helfen:

 





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Danny Brown - Atrocity Exhibition

Eventuell noch gewöhnungsbedürftiger ist die Musik von Danny Brown.
Mit "Atrocity Exhibition" ließ das Warp-Signing vergangene Woche eine wahre Bombe platzen. Innerhalb 47 wahnwitziger Minuten voll durchgedrehter Flows, trippiger Beats und unerwarteter Brüche macht der Detroiter MC klar, dass an ihm in dieser Spielzeit kein Weg vorbei führt. Er klingt so hungrig und flowt so energiegeladen, wie nur irgend möglich, zitiert unter anderem Joy Division, Nine Inch Nails und - natürlich - sich selbst.
Brown lässt seine Liebe für Rockmusik durchschimmern, greift auf  bösartige Synthies, Industrial-Sounds, Techno-Anleihen und Jazz-Basslinien zurück und klingt dabei einfach nur wie Danny Brown und nichts anderes. Irgendwie vintage, aber auch fremdartig und futuristisch, schmutzig, hingerotzt, aber auch ausgetüftelt und mit Liebe zum Detail. Ich lehne mich aus dem Fenster und behaupte, dass dieses Jahr kein besseres Rapalbum mehr veröffentlicht wird. Punkt.





 

 

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Warpaint - Heads Up

Warpaint stehen für psychedelischen Indie Rock, verträumte Gitarrenmelodien und Trip-Hop Beats.
Sowohl das 2011er Debüt "The Fool", als auch der selbstbetitelte Nachfolger waren das, was man im Fachjargon einen "Grower" nennt. Ein klassisches Warpaint-Album entblößt seine Grandiosität also erst nach vielfachem Hören, ist im Gegenzug aber umso langlebiger. Dies ist zum Teil mit Sicherheit der psychedelischen Langsamkeit der Songs geschuldet, klassische Hits sucht man meist vergebens. 
Auf "Heads Up" gibt es einen solchen nun eben doch und selbstredend wurde der ironisch betitelte "New Song" auch gleich als erste Single auserkoren. Repräsentativ für die Grundstimmung der Platte ist er allerdings nicht und das ist auch gut so.
Im Großen und Ganzen bleiben die vier Kalifornierinnen ihrer Linie treu, präsentieren sich jedoch varianten- und abwechslungsreicher als auf dem Vorgänger, dabei aber anders als "New Song" glauben macht, noch immer düster und getragen. 
Dafür dass nach spätestens fünf weiteren Hördurchgängen das Etikett "Fabulös" vergeben werden wird, verbürge ich mich hiermit.





 

 

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Bon Iver - 22, A Million

Mit Growern kennen sich auch andere aus:
Bon Iver, unter anderem Produzent und Kollaborationspartner von Kanye West oder James Blake, ist das Hauptprojekt des umtriebigen Justin Vernon und releast nun das ersehnte dritte Album seit 2007.
Das Debüt "For Emma, Forever Ago" ist eine Platte voll zerbrechlicher Liebes- und Klagelieder, die noch heute ein warmes Kribbeln durch den Bauch wandern lassen. Seine in herzzerschmetterndem Falsett vorgetragenen, auf ihren Kern reduzierten Songs, zeugen von einer schlichten, vereinnahmenden Schönheit.
Das Nachfolgewerk stieß daruffolgend nicht nur mir, sondern einem Großteil der Fanschar vor den Kopf. Die ersten Durchläufe hinterließen mich ratlos, erst mit der Zeit schaffte ich es, eine Beziehung zu den komplexen Kompositionen herzustellen und sie nach langem, erbitterten Kampf in mein Herz zu schließen. Offenbar war "Bon Iver, Bon Iver" jedoch nur eine Vorstufe zu der nun stattfindenden Verstörung.
"22, A Million" hatte von Beginn an einen schweren Stand bei mir. Und noch immer ruft das ganze prätentiöse Brimborium, das mit den Titelnamen beginnt (exemplarisch "21 M◊◊N WATER" oder "666 ʇ"), bestenfalls Kopfschütteln als Reaktion in mir hervor. 
Die ersten beiden Singleauskopplungen vermittelten mir dann den Eindruck, einen Witz nicht verstanden zu haben, ich war abermals kalt erwischt worden.
So langsam stellt sich das Gefühl ein, meine Verbindung zu der Platte könnte doch noch eine fruchtbare werden, für ein abschließendes Urteil ist es gewiss zu früh. Fest steht, dass hier mit konventionellen Hörgewohnheiten gebrochen und Anhänger abermals einer harten Probe ausgesetzt werden.
Hier ein eher zugänglicher Anspieltipp:







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Vince Staples - Prima Donna

"Don't say you feel my pain cause I don't even feel myself"

Wie macht man weiter, wenn man mit seinem Debütalbum bereits alles abgerissen und Maßstäbe gesetzt hat?
Am besten genau so, wie Vince: Die Haus- und Hofproduzenten No I.D. und DJ Dahi ein bisschen rumflexen lassen, dazu noch James Blake ins Boot holen, den Rest besorgt der versierte Kalifornier höchstselbst. Seine mitunter überaus nihilistischen Texte rappt er so druckvoll über die abwechslungsreichen Beatteppiche, das kein Gras mehr wächst. Wir dürfen uns sowohl über einige absolute Banger, als auch über genuschelte, impressionistische Gesangspassagen freuen.
Damit steigt Staples in die Top 5 meiner Lieblingsmenschen auf, höchste Empfehlungsstufe.