Donnerstag, 8. September 2016

Rezension: Degenhardt & Kamikazes - Krahter


Degenhardt und Kamikazes  –  eine Kollaboration, die Freunde sperrigen Untergrundraps in helle Freude versetzt. Ein zusätzlicher Lustmacher, dass die Kamikazes das Soundbild komplett in Eigenregie komponiert haben und keine Fremdbeats die düstere Klangwelt verwässern.




Nach dem ersten Hören wird bereits deutlich, dass die beiden Brüder sich beattechnisch nochmals gesteigert haben. Mit einer enormen Hitdichte war man ja bereits auf früheren Releases verwöhnt worden, der große Pluspunkt von Krahter gegenüber diesen ist jedoch seine Kongruenz. Hier greift ein Rad ins andere, die neun aus einem Guss stammenden Songs, in die sich auch ein funky Remix des bereits bekannten „Letzte Lover“ einreiht, unterwerfen sich dem packenden Spannungsbogen und verschmelzen zu einem großen Ganzen.
Die zwei Instrumentals „Tag 0“ und  "Tag X" bilden Anfang und Ende des Albums und spiegeln die beiden Pole Geburt und Tod wider. Dazwischen passiert, was in einem normalen Leben zwischen Uppern und Downern eben so passiert: Identitätsfindung, Einsamkeit, Abgrenzung, Liebesdramen, Zweifel, Euphorie, Resignation und co.
Wer jetzt die Befürchtung hat, ein berechenbarer Thementrack würde auf den nächsten folgen, der kann beruhigt werden. Wie man es von den Protagonisten kennt, richten sowohl Degenhardt, als auch die beiden Brüder ihren Fokus nicht darauf, die großen Erklärer zu spielen und dem Hörer klar umrissene Geschichten aus der Erzählerperspektive in mundgerechten Stücken aufzutischen. Der Fokus geht nach innen.
Klare Gedanken, die über einige Zeilen hinweg konstruiert werden, rutschen immer wieder ins Bodenlose ab, fallen in sich zusammen oder ufern in abstrakte Assoziationsketten aus.


"Deine Sicht geht von gestochen scharf runter zu stumpf und besoffen"


Ein roter Faden bleibt stets erhalten, wenn auch meist verschwurbelt und verknotet.
Das Attribut „verkopft“ wird dem Vortrag deshalb nicht gerecht. Vielmehr ist der Vibe der zentrale Leitfaden, der die Parts der drei Rapper trotz ihrer mitunter doch recht verschiedenen Herangehensweisen zusammenkittet.
Die beiden Brüder ergänzen sich in gewohnter Manier. Während Antagonist unterkühlt und mit maximaler Lässigkeit die Beats bearbeitet, erscheint Mythos' Flow nochmal stärker und variantenreicher, als auf vorangegangenen Releases.
Degenhardt hingegen trägt seine mitunter sehr abstrakten, Schlagwörter aneinanderreihenden Bewusstseinsströme fast schon in Spoken Word-Form vor und entfernt sich dabei merklich von der Vortragsweise eines klassischen MCs, so dass seine Parts teilweise eher wie Bridges daherkommen.

Auf "Namen" bedeutet der erste Tag bereits "totale Degeneration" und das Platzen der ersten Seifenblasen.
"Oben herab" ist eine Albtraumvariante von Brahms "Guten Morgen, gute Nacht" und findet irgendwo zwischen dem nur noch unscharf konturiertem Diesseits und dem alles lindernden Paradies statt.
Messages sucht der eifrige Hörer vergebens und offenbar ist eh keiner der Interpreten "geeignet als dein geistiger Führer". Ein gut gemeinter Rat: "Lass' das dritte Auge Säugling sein".

Die düster und atmosphärisch gehaltene Instrumentierung erzeugt eine eindrucksvolle Stimmung. Auf der einen Seite gerät diese äußerst bedrückend, wenn nicht sogar er-drückend. Auf der anderen Seite macht sich aber auch ein melancholisches Gefühl der Wärme breit, denn während die Produktionen von Kleiner Vogel an vielen Stellen eine fremde Sterilität verkörpern, ist Krahter dreckiger, man könnte sagen menschlicher, wenn auch um keinen Deut schlechter ausproduziert.
Subtile Beatwechsel, aggressive Synthies, traumwandlerische Melodien, schleppende Drums und drückende Basedrums legen den Grundstein für die neun Brecher. Bedrohlich, dystopisch, aber stets funky und von großer Dynamik.

Degenhardt und Kamikazes - diese Konstellation passt einfach. Sie spielen sich zwar nicht unbedingt die Bälle zu, dafür bleibt Jeder seiner Linie treu und drückt dem Album seinen eigenen Stempel, seine eigene Version von Krahter auf. Der Vibe ist der gleiche, die Übersetzung eine andere.
Folglich mündet die gemeinsame Zusammenarbeit nicht in schwammigem Kompromissen, sondern viel mehr in einer charakterstarken EP mit den nötigen Ecken und Kanten, die große Kunst oft erst groß machen.
Auf Krahter manifestiert sich eine sinnvolle Weiterentwicklung des Kamikazes-Sounds. Der Klang ist mutiger und radikaler, mit weniger Loops und mehr Kompositionen.
Letzten Endes ist die EP aber weit mehr als ihre Einzelteile, sie ist eines dieser extrem raren Werke, die es schaffen, den Hörer von den alltäglichen Banalitäten loszueisen und in einen gänzlich anderen Kosmos zu versetzen. Was schmerzt, ist das anschließende Runterkommen.

 Wertung: 8,5/10




 Tracklist:
  1. Tag 0
  2. Muttis Jesus
  3. Namen
  4. Oben herab
  5. Jabberwocky
  6. Unentschieden
  7. Letzte Lover (Remix)
  8. Berge
  9. Tag X

Veröffentlichung: 12.08.16 auf Bandcamp; Vinyl exklusiv bei Vinyl Digital